Das Glück sitzt neben dir…oder: Das erzähle ich hier zum ersten Mal!

Kriegskinder finden in einem Seminar mit uns Vertrauen, Verständnis und Zukunftsmut

stuhlkreis_200.jpgEs war ein Wagnis, doch der Mut der Veranstalter wurde belohnt: Thomas Gerhold, Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Ratingen-Ost, organisierte gemeinsam mit Kathleen Battke, Biografin und Tochter von Mitgliedern der Gemeinde, und Thomas Bebiolka, Philosoph und Historiker, eine zweiteilige Veranstaltung unter dem Titel „Kriegskinder, erzählt!“.

Der erste Teil, eine Lesung mit Buchautorin Sabine Bode, hatte bereits im Oktober stattgefunden. Nun folgte am 9. und 10. November das Seminar „Neue Kraft für’s Alter: Wie Kriegskinder aus ihrer Geschichte Zukunft gewinnen können“, geleitet vom Ehepaar Battke-Bebiolka.

Die sieben Teilnehmer, fünf Frauen und zwei Männer aus den Geburtsjahrgängen 1928-1945, zeigten sich beim Abschied am späten Samstag Nachmittag positiv überrascht von dem intensiven Gruppenerlebnis: „Ich wusste ja gar nicht, was mich hier erwartet. Nun bin ich absolut froh und dankbar, denn hier konnte ich mich in einer vertrauensvollen Runde öffnen. Allein, dass mir wirklich einmal jemand aufrichtig zuhört, hat mich richtig erleichtert!“, so ein Kommentar aus der Runde.

Die respektvolle und zugleich familiäre Atmosphäre, die für Kathleen Battke und Thomas Bebiolka zu den entscheidenden Geheimnissen des Gelingens dieser Seminare gehört, ermöglicht es den Teilnehmern, schnell Vertrauen zu fassen. „Das Bedürfnis zu Erzählen bringen die Menschen fast immer mit“, so Thomas Bebiolka, „noch wichtiger ist aber die Bereitschaft zum aufrichtigen Zuhören.“ Auch der geschützte und vertraute Rahmen in den Räumen der Friedenskirche hat sicher zur Öffnung beigetragen.

Erzählrunden, Kerzen-Rituale zum Andenken an verlorene Familienmitglieder, Schreib-Ãœbungen und Meditationen ließen jedoch nicht nur die Erinnerung an Flucht, Tod und Hunger wach werden. Auch gute Kindheitserfahrungen wurden als überlebenswichtige, stärkende Geschichten gewürdigt: „Neben unserem Lager in Dänemark war eine Bäckerei, an der wir uns als Kinder immer herumdrückten, weil es dort so wunderbar roch“, erzählt eine Teilnehmerin; „Eines Tages erschien ein Gesicht hinter der Scheibe, dann ging das Fenster auf und Brote purzelten heraus. So ging das ab dann jeden Nachmittag!“

Doch geht es dem Ehepaar Battke-Bebiolka in ihren Seminare ausdrücklich nicht nur um die Vergangenheit: „Es ist unser Anliegen, dieser noch so lebensfrohen und kraftvollen Generation der 1930-45 Geborenen auch Impulse für die Zukunft zu geben – für ihr eigenes erfülltes Alter, aber auch für ihre Verantwortung gegenüber den folgenden Generationen“. Eine Schreib-Ãœbung bestand folglich darin, einen Brief an ein Enkelkind zu schreiben, um die eigenen Einsichten weiterzugeben. „Ich ermutige meinen vierzehnjährigen Enkel dazu, nicht sofort alles zu glauben, sondern kritisch zu prüfen“, ließ ein Teilnehmer als seine Quintessenz aus den Erfahrungen der Nazi-Zeit in den Brief einfließen.

Besonders die aufrichtigen inneren Prozesse waren es, die die gesamte Gruppe bereicherten, Würde und Tiefe in die gemeinsamen Stunden brachten: „Diese Geschichte“ – ein Lausbubenstreich in der Schule, in der sich der sonst eher zurückhaltende Erzähler als frecher Anstifter erinnerte – „habe ich noch nie jemandem erzählt“, so ein Teilnehmer mit Erstaunen in der Stimme; „jetzt wird mir ganz warm!“

Und eine zweite Teilnehmerin strahlt: „Ich habe mich über mich selbst gewundert, dass ich mich so weit geöffnet habe. Nach dem ersten Abend habe ich mich schon richtig auf den Samstag gefreut!“

Am Schluss nahm jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer – neben einer Rose, überreicht von den Seminarleitern – Erleichterung, das Gefühl der Verbundenheit und mehr Kraft mit nach Hause. Viele möchten vor allem weiter schreiben. „Dabei geht es nicht so sehr um literarische Qualitäten“, ermutigt Kathleen Battke, „vielmehr ist es entlastend, die Erinnerungen aufs Papier zu bringen. Zugleich werden sie so zum Zeugnis für folgende Generationen“.

Die so schnell entstandene Vertrautheit fasste eine Teilnehmerin in der Abschlussrunde in folgendes Bild: „Wir sind wie ein Bund Spargel, durch eine schöne Schleife zusammen gebunden!“ Der Kreis will in Verbindung bleiben und wünscht sich die Fortsetzung der Arbeit.

Bei ausreichender Nachfrage kann eine Wiederholung oder Weiterführung des Seminars angeboten werden, auch eine vertiefende Schreibwerkstatt ist denkbar. Interessierte wenden sich an Pfarrer Thomas Gerhold, Tel. 02102 / 84 92 98.

Gastfreundschaft der ganz besonderen Art.




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